Aufruf

Kein Häfn für niemand!

Aufruf zu den Anti-Knast-Tagen in Wien von 7. – 9. 11. 2014

Knast heißt in Österreich Häfn, gemeint ist jedoch immer das eine: Gefängnis, Gitter, hohe Mauern, Stacheldraht, dahinter Menschen, die weggesperrt werden. Zum Schutz der Gesellschaft, als Strafe, zur Abschreckung, aus Rache, weil sie keinen Aufenthaltsstatus innerhalb der Festung Europa haben usw. – Gründe fürs Gefängnis kennt der Rechtsstaat viele. In demokratischen Zeiten sind diese Gründe „human“, soll doch der Strafvollzug „menschlich“ sein, das geringere Übel in Zeiten der größtmöglichen Freiheit im Kapitalismus, dem angeblich besten, weil nicht totzukriegenden System.

An den Knästen dieser Welt manifestiert sich der Glaube an eine Freiheit, die angeblich diejenigen haben, die draußen sind – jenseits der Mauern und Gitter. Dieser Glaube ist trügerisch, denn wir glauben nicht an (die) Freiheit in der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft, an die Reformierung der Warenlogik und der Gesellschaft des Spektakels und wir haben keine Hoffnung, innerhalb dieses Systems zu einer besseren, zu einer anderen Welt zu finden. Freiräume, Kuschelecken, Nischen, in denen wir uns unüberwacht, fern von der Kontrolle und Macht der Herrschenden bewegen können, existieren – wenn dann – nur in unseren Köpfen und da auch nur gerne zum Zweck des Selbstbetrugs, um es irgendwie in diesem System aushalten zu können.

Wir sparen uns an dieser Stelle mannigfaltige Argumente gegen den Knast – die meisten sind ohnehin bekannt oder nachzulesen (z.B. http://www.abc-berlin.net/stein-fuer-stein-kaempfen-gegen-das-gefaengnis-und-seine-welt). Vielmehr wollen wir unsere eigenen Beweggründe darlegen, warum für uns der Kampf gegen die Knäste nicht zu denken ist ohne einen Kampf gegen das staatliche Konstrukt, in dem wir gezwungen sind zu leben.

Vielleicht ist ein Gefängnis die totalitärste Institution der demokratischen Gesellschaft, der Diktatur der wenigen Parlamentarier_innen über alle anderen Menschen, denen in heuchlerischer Weise gewährt wird gelegentlich zwischen Pest und Cholera zu wählen. Im Gefängnis bekommt der Mensch das Ausgegrenzt sein, das Nicht-Dazu-Gehören-Dürfen durch die physische Präsenz der permanenten Überwachung wortwörtlich am eigenen Leib zu spüren. Sämtliche Kontakte zur Außenwelt werden reguliert – das Gefängnis bestimmt, wann, wie, was gegessen, geschlafen, gearbeitet, geduscht oder Sport betrieben werden darf. Dinge, die die meisten von uns außerhalb von Gefängnismauern zumindest teilweise selbstbestimmt entscheiden können. Doch auch andere Institutionen wie Kasernen, Krankenhäuser, Psychiatrien oder Schulen führen uns vor Augen, dass wir uns nicht selbst gehören und sowohl unsere Körper als auch unsere Gedanken überwacht, normiert und im Geiste der Staatsmacht erzogen werden müssen. Von der Wiege bis zur Bahre werden wir von der stumpfsinnigen Bürokratie verwaltet, eingeordnet, zu braven Bürger_innen des Systems gemacht – aufbegehren und die eigene Meinung sagen inklusive. Selbst wenn in Schulen engagierte Lehrer_innen Kindern Mut machen, das System in Frage zu stellen oder nette Sozialarbeiter_innen Jugendliche Räume bieten, in denen sie nichts leisten müssen und einfach nur sein dürfen, so sind es auch genau diese Rollen, die das System stützen und stabilisieren. Ebenso wie Parteien, Religionen, die heilige Kuh Arbeit oder andere Zwänge und Normvorstellungen.

Die Schere im Kopf wirkt so oder so: Wir wachsen auf mit dem Wissen, was erlaubt und was verboten ist. Wo wir anecken können/dürfen und wann wir besser unseren Mund halten. Die Foucaultsche Disziplinargesellschaft* hat gewonnen, wenn die Herrschenden über uns nicht mehr (so stark) benötigt werden, um uns einzuschränken, weil wir es bereits selber tun – in unseren Träumen, Aktionen und in unseren täglichen Handlungen. Wir passen unser Leben an das Zeitalter der Überwachung und Kontrolle an, stellen Routine und Alltag gar nicht mehr in Frage, empfinden Kameras an allen Orten der Öffentlichkeit weder als Störung noch als Anstoß, zu sehr haben wir uns an deren Anblick gewöhnt.

Wir sind nicht frei. Weder drinnen im Knast, noch draußen außerhalb der Mauern. Die Gitterstäbe sind vielleicht in der Zelle gegenwärtiger als auf der Straße, im Park oder im Supermarkt – zu stören scheinen sie zumindest „draußen“ nur wenige, ja, viele sehen sie nicht einmal. Wenn zum Beispiel zum hundertsten Mal der Begriff der „politischen Gefangenen“ zelebriert wird, um alle anderen davon auszuschließen, die aus Gründen wie Hunger, Armut, Krankheit oder schlichtweg Verzweiflung hinter Gitter sitzen, dann scheint es, als ob hier willkürlich Grenzen gezogen werden zwischen dem Elend der einen und dem der anderen. Wir lehnen den Begriff der „politischen Gefangenen“ ab, weil wir Knäste – neben der Polizei, Gesetzen, Zucht und Ordnung – als ein Unterdrückungswerkzeug von vielen sehen, das wir aktiv bekämpfen wollen. Wer warum im Knast sitzt, interessiert uns wenig bei dem Wunsch nach der Abschaffung der Institution Gefängnis und der Gesellschaft, die es benötigt.

Die diesjährigen Antiknasttage finden in Wien statt, einer Stadt, die aktuell vier (große) Häfn mitten in der Stadt bzw. an deren Rändern vorzuweisen hat. Der Kampf gegen die Knäste ist hier ein kleiner, wenn auch stetiger. Nicht viele haben Interesse daran und nicht viele scheint das Leben im Kapitalismus sonderlich zu stören – kein Wunder, zum Fressen haben alle (noch) genug und im postfaschistischen Österreich steht das antifaschistische Engagement nach wie vor ganz oben auf der Liste der linksradikalen Politiken. Da wird gern Knast für Nazis, härtere Strafen und ein präziseres Durchgreifen der Polizei gegen die politischen Feind_innen gefordert und im nächsten Atemzug gegen Repression gewettert. Ein Gedankengang, der verständlich ist, wenn man sich wohl oder übel zur demokratischen Gesellschaftsordnung mit ihren Werten bekennt oder die Logik der Staatsmacht nur zum Teil in Frage stellt. Themen wie die geplante Reformierung des Jugendstrafvollzugs, Knast-Neubauprojekte, die Einführung „moderner“ Bestrafungssysteme wie die Fussfessel oder permanete Berichte über Selbstmord, Misshandlungen, Übergriffe oder Verwahrlosungen innerhalb von (österreichischen) Gefängnismauern werden nur von wenigen aufgegriffen oder thematisiert.

Wir laden nach Wien ein, um gemeinsam über eine Welt ohne Mauern, Gittern und Grenzen nachzudenken, zu diskutieren und Wege zu finden, wie diese Welt, die wir so sehr ablehnen, zu bekämpfen ist. Wir wollen uns zwei Tage lang über diverse Projekte, aktuelle Gefangene, Repression, Knastkämpfe und unterschiedliche Anti-Knast-Zugänge austauschen, vernetzen und informieren. Wir möchten alle ermutigen, sich auf die ein oder andere Art zu beteiligen – auch wenn inhaltlich unterschiedliche Positionen zum Kampf gegen das Gefängnis vorhanden sind. Sind es doch vielleicht gerad die kontroversiellen Diskussionen, die unsere (selbstreflexive) Kritik anregen und dazu führen unsere Analysen und Schlußfolgerungen zu schärfen.

Wir wünschen und freuen uns daher über eine aktive und rege Beteiligung von interessierten Menschen – egal ob innerhalb oder außerhalb von Knästen.

Gegen alle Formen der Kontrolle, der Einsperrung und der Autorität!

Wien, September 2014

Infos, Programm, Möglichkeiten zur Beteiligung, Ideen für Workshops oder Pennplätze – get in contact with us: http://antiknasttage2014.noblogs.org

* Viele Bücher wurden über Knäste verfasst, Michel Foucault schrieb eines davon. In „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses“ analysiert er die Entwicklung der Bestrafungsstrukturen bis hin zum modernen Staat, in der Macht sich bis in die kleinsten Bereiche fortsetzt und diese durchdringt. Die Disziplnierung des Individuums geht demnach nicht mehr nur von einer repressiven, übergeordneten Instanz aus sondern von allen Teilnehmer_innen der Gesellschaft.


 

No Prison for No one (‚Kein Häfn für niemand!‘)

Call out for the Anti-Prison-Days in Vienna, 7. – 9. 11. 2014

The Austrian word for jail is: Häfn, but no matter what name you give it, we are talking about the same thing here: Prison iron bars, cages, high walls, and barbed wire behind which those incarcerated are stashed away. for the ‚protection‘ of our society, for punishment, to deter others, as revenge, or simply because their legal status in fortress Europe isn’t strong enough. The law will find enough reasons to stick you away. In these times of democracy, the reasons are ‚humane‘; the penal system is  the lesser evil in these times of unrestrained capitalistic freedom, capitalism supposedly being the best system, seeing as it just cant be beat.

The belief in the myth that those of us outside the walls and cages are free became manifested in the prisons of this world. This belief is delusive, creates false hopes, because we don’t believe in freedom within an exploitative capitalistic society, nor do we believe in the possibility of a reform of the logic of commodity and its society of spectacle, and we have absolutely no hope of finding within this system a better world. Free spaces, cuddle corners, small niches away from the prying eyes of power and control exist only in our heads, as a method of lying to ourselves and not facing the facts that it is impossible to exist within this system.

The fact that many arguments against prisons are well known and/or possible to read about, we wont get into those here, rather we would like to sum up our own motives why its not possible for us to conceive the fight against prisons without taking into account the fight against this system in which we are forced to live.

Prison could be the most totalitarian institution democratic society has. The dictatorship given to the few in parliament who stand above the rest of the people who are occasionally given the hypocritical choice between the plague or cholera. In prison the ownership of ones own body is taken away, the feeling of not belonging, of being an outsider, a wrong doer through the very physical presence of constant surveillance. Every contact to the outside world is regulated; prison controls when, how, what you: eat, sleep, exercise, work, shower. Things that most of us outside those walls can at least partially determine for ourselves. Even though freedom is preached it is let known to us that we don’t belong to ourselves. Through schools, psych wards, hospitals, barracks we are brought to realise that not only are our own bodies free for the public, but also that our very thoughts are monitored, normalised, and brought about to comply with the powers that be.
From the cradle to the grave we are accosted with the drudgery of bureaucracy, labelled, made into good little citizens of this system. Even the roll of the dedicated teacher who teaches their kids the courage to question the system, or the social worker who offers a youth hall with no costs where the youth can just be themselves, even these rolls encourage and support the system. Just like political parties, religions, the sacred place of work along with other coercive and believe systems within this system.

The cop in our head works either way. We grow up with the knowledge of what is alloyed and what is forbidden. We know when to keep our mouths shut or when we can/are allowed to curse. Foucault’s* society of discipline has won, when the powers above must no longer reign (so strongly) over us, because we are already doing it ourselves. In our dreams, operations, daily doings. We fit our lives into this age of surveillance, we have forgotten to question all those cameras in public spaces, we have normalized it in our heads the constant control over us. We have allowed ourselves to become ignorant of those sickening eyes on us at all times.

We’re not free. Neither in prison itself nor outside those walls. The prison bars are less obvious in the supermarkets, on the streets, or in the parks as they are in the cells; they seem hardly to disturb us on the outside, many don’t even see them at all. Through the over use of the defintion ‚political prisoner‘ we have drawn arbitrary borders between the misery of one again the other. The political prisoner being celebrated while those inside due to poverty, hunger, sickness or absolute desperation are cut out, closed off, not worthy of the attention given to a ‚political‘ prisoner. Well we spit on the term ‚political‘ prisoner. For us prison, including the police, rules, law and order, is only one tool of oppression from many, of which we need to fight against. Why someone is in prison doesn’t interest us, seeing as we want the total abolishment of the prison institute and the society which depends on it.

This years anti-prison days will be held in Vienna a city with 4 (large) prisons right in the centre of the city, (centre and periphery). The Viennese struggle against prions is maybe small but at least constant. This struggle attracts only a few people, whereas many others don’t seem to be bothered by life inside a capitalist system at all. It isn’t surprising seeing as the most still have enough to eat, and in post-fascist Austria, antifascist work is still the main focus of the left movement. Hence the wish still for prison for Nazis, stricter sentencing, and the specific wish that the police intervene harder against the political enemy; while in exactly the same breath you may hear bickering about the repression. Quite a logical chain of thought when you have condemned yourself to be a part of the democratic society, or when you half assedly question the state power. Issues such as: the reformation of the youth penal system, construction plans for yet more prisons, the introduction of more ‚modern‘ forms of punishment like electronic tags, or even the permanent news about suicides, cruelty, assaults and neglect inside the Austrian prison walls have only been made a topic by a very few people.

We invite you to Vienna, to discuss together the possibilities of a world without walls, cages or borders, to find a way to fight against this world which we refuse to accept. Over the course of 2 days we hope to share ideas and experiences, inform one another on actual events of repression, struggles and prisoners, and hopefully connect a few projects together and come up with new ways for the anti-prison struggle to take. We want to encourage each of you to take part one way or another, even if we have different opinions about the ‚anti-prison movement‘. Maybe its even the controversial discussions that inspire us, and through self reflective criticism we can motivate ourselves to sharpen our analysis and conclusions.
We look forward to and hope for am active agile group of interested people.

Against all forms of control, imprisonment and authority!

Vienna, September 2014

For further Information, program, possibilities for participation, ideas for workshops or sleeping places — get in contact with us!

akt2014@riseup.net

or visit our blog

antiknasttage2014.noblogs.org

* Lot’s of books were written about prisons, Michel Foucault wrote one of it. In ‚Discipline and Punishment: The Birth of the Prison‘ he analyses the development of the structures of punishment till the appearance of the modern state, where power sustains and penetrates the smallest sphere. To disciplinary action against the individual is carried out not just by a repressive, greater instance, but by all partners of society.